Über die lehre Darwins von der Divergenz der arten auf Nichtgetrenntem boden.

Prof. Dr. Alexander Erich Kohts. (Gründer — 1896 — und Vorstand des Museum Darwinianum in Mockau)

Александр Федорович Котс


Über «Divergenz» der arten auf Nichtgetrenntem boden.

Zu Beginn ein crasses Beispiel.

Zwei befiederte Geschöpfe von extremer Differenz in Körpergrösse, Lebensweise und Äusserem: Bewohner baumloser Steppen Süd-Amerikas und dessen grosster Vogel, der Strauss Nahdu, und der wihzigste Repräsentant der Klasse Vögel, von der Grösse einer Hummel, — ein Kolibri.

Vom monophyletische Standpunkte betrachtet, liesse sich behaupten, dass wir hier blos ein extremes Beispiel einer «Divergenz der Organismen» vor uns haben.

Zwei verschiedene Vertreter gleicher Klasse: grosser flugunfähiger, düster gefärbter Renner auf der weiten Pampa und winziger «gefiederter Edelstein», mit rasender Geschwindigkeit die Luft durcheilend, oder vor den Blumenkelchen schwebend, ihnen gleichsam anhängen, «Beja flor»«der die Blume küsst», nach Aussage der Brasilianer.

Nur zu sehr ist man geneigt in diesen zwei Gescopfen ein Belege dessen zu ersehen, wie zwei Lebewesen, grundverschieden in Bezug auf Körpergrösse, Lebensweise, Bau, Befiederung, als Nachkommen derselben Ahnen, durch ein Anpassen an ganz verschiedene Verhältnisse und Stellen im Naturhaushalte sich allmählig ausgebildet haben: die einen — an die öden Steppen Südamerikas, die anderen — an dessen Blumenreich gebunden, wetteifernd mit dessen Pracht in Form und Farbe.

Leider sind dergleichen Annahmen blos «romantische Umschreibungen», Ersetzen eines gegenwärtigen Zustandes durch Vermutungen in die Vergangenheit, insorern wir über die reale Genealogie der Strausse und Kolibri, deren historische Verbände, nichts Konkretes oder Sachliches zu sagen haben und die «Phylogenie» nur ganz hypothtisch aufzubauen ist.

Speculationen solcher Art erweisen sich als Schulbeispiele der Vermengung zweier Vorgänge von überaus verschiedener Gewissheit: Descendenz und Genealogie, ein Verwchslung welehertrotz Ermahnungen so mancher einsichtiger Forscher noch nicht allerorts vermieden wird.

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Unter so manchen deductiven Äusserungen Darwins dürfwohl keine zweite von so deductiver und aprioristischer Natur sich zelgenals bezüglich der fundamentalen Frage von der «Divergenz der Arten», der «von einem und demselben Stamme herkommenden organischen Wesen innenwohnenden Neigung, in ihren Characteren bei ihrer weiteren Modification zu divergieren».

Um so seltsamer ist nun der Umstand, dass die Lösung dieses Rätsels, laut Darwins Aussage «nach dem Prinzip des Columbus und dessen Ei» erfolgte auf rein deductivem Wege, unterwegs im Wagen und durchaus nicht in Folge einer Analyse von bestimmten inductiv beobachteten Tatsachen und Fällen.

«Diese Lösung ist, wie ich glaube die, dass die modificirten Nachkommen aller herrschenden und zunehmenden Formen dazu neigen vielen und im hohen Grade verschiedenartigen Stellen im Naturhaushalte angepasst zu werden». Ch. Darwin. Autobiographie, Seite 75. Deutsche Ausgabe.

Solches — die Erklärung Darwins und es liegt uns nun daxan diese Erklärung an der Hand koncreter Daten inductiv zu prüfen.

In dem eingangs angeführtem Falle zweier Antipoden, einem fluglosen und langbeinigem Renner durch die Steppen Südamerikas, dem Nandu, und dem flugewandtem winzigen Kolibri, hätoen wir blos ein extremes Beispiel einer Divergenz im Bau und Lebensweise Vertreter zweier Hauptabteilungen der Klasse Vögel.

Bekanntlich liessen sich unendlich viele wenig auffallender Divergänzen für Representanten gleicher Ordnung, oder für Vertreter innerhalb derselben Unterordnung und Familie anführen.

Ganz abgesehen von Bewohnern ferner Erdteile und Tropen (wie z.B. tropischer Tauben, Eisvögel, Nashornvögel, Papageien, deren Lebensweise und Verbreitung noch manches zu erforschen lässt..) sind es Vertreter unserer paläarktischen Vogelwelt, welche extreme Divergenz uns veranschauligen, und zwar nicht blos extreme in Bezug auf Grösse, innerhalb derselben Ordnung, sondern auch durch Arten, weiche aurch anscheinend intermediäre Formen sich zu verbinden scheinen.

Es genügt hier blos die Reihe unserer Sumfhühner oder Kronschnepfen (Brachvögel) anzuführen, deren Arten, je nach Grösse sich in instructiven Stufenreihen ordnen lassen, welche nur zu leicht als eine aproximative «Ah nen reihe» gedeutet werden könnte, allerdings nur für einen allzuflüchtigen Beobachter und Denker. Denn in wirklichkeit bietet die wahre Genealogie solcher sich nahe stehnder Geschöpfe meistens gleiche Schwierigkeiten, wie bei dem Aufdecken phyletischer Verbände der zwei eingangs angeführter Vögel.

Um diese triviale Sachlage Konkret zu veranschauligen genügt es der nachstvolgender Betrachtungen.

Zwei Momente sind als Ausgangspunkte der Divergenztheorie Darwins, so wie unserer Betrachtungen zu nehmen: die allmählige Herausbildung der neuen Arten aus derselben und auf gleichem Boden lebeneden Population und eine Hinneigung gewisser Teile deren Nachkommen zu abweichenden (im Vergleich zu deren Eltern) Lebensführung un Bedürfnissen.

Vergegenwärtigen wir uns möglichst konkret und induktiv dienen abstrakt und deductiv gedachten Vorgang an der Hand realer, möglichst naher Formen.

Beginnen wir mit Standvögeln und zwar Bewohnern des Waldes, dabei möglichst nahestehender in Nahrung und Lebensweise, wie es vor Allem unsere Eulen zeigen.

Man vergleiche blos unseren Rauhfusskauz (Aegolius tengma lmi) mit dessen kleinerem Verwandten, dem Sperlingskautze (Claucidium passerinum). Beide — ganz ausgesprochene waldbewohner und Nahrung gleich (Mäuse, kleine Vögel, zur Sommerzeit — Insekten).

Nun versuche man sich vorzustellen, wie von einem uns naturgemäss ganz unbekannten Vorfahren, einem «Mittelding» zwischen den beiden heutigen Arten (richtiger: Gattungen) eine Entwicklung nach zwei diversen Richtungen begann, die eine nach der Richtung des Tengmalmkauzes, die andere — zum Sperlingskautz.

Nur sehr berechtigt wäre es anzufragen, welche Ursachen diese Umbildungen, diese Divergenz, nach beiden Pichtungen hervorgerufen? Sind die heutigen zwei Käuze in Bezug auf deren Wohnort wenig und in Nahrung kaum zu unterscheiden, so waren es ihre vermutlichen Vorfahren noch minder, Überdies wäre es noch zu beweisen, dass der eventuelle Unterschied in Nahrung überhaupt einen gewissen Einfluss auf die Eörpergrösse und das Äussere der Vögel habe.

Lebt doch in selbigem Walde, unter ähnlichen Nahrungsbedürfnissen (Mäuse, Vögel, Insekten) eine Reihe anderer Eulen (Waldoheule, abgesehen von den grösseren Vertreteren dieser Wald-und Nachtraubvögel, wie der Uralkauz, Strix uralensis, oder Uhu) welche in Bezug auf Nahrung, trotz grösserer Körperdimensionen, Mäuse und Insekten nicht versclumähen.

Noch mehr zu denken gibt uns die Betrachtung eines nahen Blutsverwandten unseres Rauhfuskauzes, des bei Weitem mehr bekannten Steinkauzes (Athene noctua).

Bei der enormen Verbreitung dieser kleinen Eule (von Dänemark bis Korea, China, Persien, Indien, tropisches Afrika) bildet der Vögel eine Menge Unterarten / allein für die Paläarktische Region etwa ein Dutzend! [1] ), welehe trotz dem kolossalen Unterschiede in dem Klima, Bodenbeschaffenheit und Nahrung zur Bildung von besonderen Arten nicht gebracht.

Demgegenüber sollten die ganz hypothtisehen Anpassungen an «in hohem Grade verschiedenartige Stellen im Naturhaushalte» besondere Species erzeugt haben!

Also, was die factischen Verschiedenheiten der real bewohnten Orte, wie Korea, Belgien, Sardinien, Süd-Spanien, Egypten, Südliches Marocco, Cypern, Kaukasus, Nordchina, Indien nicht erbrachten, das Herausbilden von eigentlichen Species, das sollten deren erdachte Anpassungen an hypothtische verschiedenartige Stellen des bekanntlich relativ sehr einförmigen Urwaldes zu Stande bringen.

Das Bedenkliche dieser Behauptung dürfte aus dem hier Gesagten sich von selbst ergeben.

Nun liesse sich dem Angeführten folgendes entgegenhalten, nämlich eine relative Einförmigkeit aller jetzigen Eulenvögei, und besonders der nur mittelgrossen oder kleinen Arten, als ganz ausgesprochener Myophagen.

Wenden wir uns daher zu einer anderen Vogelgruppe, deren vorzugsweise Nahrung, so wie Wohnungsort in der Benennung einzelner Species zum Ausdrucke kommt.

Wir meinen unsere Kreuzschnäbel, deren drei bekannteste Verträter die Namen ihrer hauptsächlichen Nahrung führen: Fiichten (Tannen), Kiefern — und Weiissbindiger Kreuzschnabel. (Loxia curvurostra, pytyopsittacus, leucoptera).

Nun wäre es ein Leichtes diese drei verschiedenen Arten als divergente Zweige einer einzigen Stammform anzusprechen, deren Nachkommen sich an verschiedene Futterpflanzen, resp. an diverse Nadelholzsamen angepasst, specifische Eigentümlichkeiten in Körpergrösse, Schnabelform in Färbung der Befiederung erhalten haben.

So, der grössere und stärkere Kiefernkreuzschnabel (Loxia pytyopsittacus) — an die harten Kiefernzapfen, der bedeutend kleinere Tannenkreuzschnabel (L. curvirostra) — an das Öffnen der weicheren Tannenzapfen, der noch schmächtigere Weissbindage (L. leueoptera) — an die Bearbeitung der Lerchenzapfen angewiesen.

Und soweit genannte drei, — besonders die zwei ersten Nadelbäume ofters in derselben Waldung beieinander stehen, dürfte es nicht schwierig sein den Hergang dieser Divergenz sich vorzustellen, allerdings auf Grund blos deductiver Annahme.

Denn tatsächlich ist der Aufenthalt und die entsprechende Nahrung dieser Vögel keineswegs an die drei Nadelbäume angewiesen, wie es den Namen der zwei ersten zu entnehmen ist.

So finden wir den Tannenkruuzschnabel — laut harter — mehr in gemischten, als reinen Nadelholzwälder, den südlichen (taurischen) Loxia curvirostra mariae — laut Prof. Dementiev — in Kiefernwäldern. Andererseits bevorzugt der Kiefenkreuzschnabel (L. Pytyopsittacus) Ortschaften, «wo Kiefern und Fichten beisamenstehen, nicht ganz reine, weite Kiefernforste».

Was den Weissbindenkreuzschnabel betrifft, so sind für Nord-Ural-Cedernwadungen angegeben.

Hieraus ersieht man, dass die Nahrung und entsprechender Aufanhaltsort durchaus nicht an bestimmtes, streng umschriebenes Nadelholz gebunden ist, worans die Schwierigkeit entsteht die der drei Arten eignen Charaktere aus der ausschlieslichen Nahrung und Bevorzuge eines bestimmten Nadelholzes abzuleiten.

Fügt man noch hinzu, dass «in solchen Jahren, wo sie (Loxia curvirostra) Misswachs des Nadelholzuamens aus diesen Nadelbäumenwälder vertreibt, suchen sie in den Laubwäldern zuerst die Vogelbeerbäume oder Ebereschen auf, deren Beeren sie bald zerbrechen und die Kerne verzehren. Dann suchen sie auch Erlensamen.. Sie fressen auch Klettersamen von den Disteln, nicht allein die Samen aus der Gattung Carduus..»

Aus diesen Angaben erhellt ein für die sachgemässe Beurteilung des Problems der «Divergenz» wichtige Tatsache, nämlich die ungemeine Plastizität der Vögel in Bezug auf Nahrung und die Schwierigkedt auf Grund eines vermeintlichen Vorzugs ganz specieller Nahrung die Herausbildung einer besonderen Species abzuleiten.

Sind es nun die heutigen, so scharf umschriebenen Arten (so vor allem die an gleichem Orte vorkommenden L. cuvirostfa und L. Pyttyopsittacus) so polyphag, so waren es ihre gemeinsamen Vorfahren um so mehr, was ein Differenzieren auf gleichem Boden durch das Bevorziehen nur einer ganz bestimmten Art von Nadelholzsamen sehr erschwert.

Zu gleichen negetivem, oder skeptischem Ergebnis in Bezug auf Annahme der Divergenz der Arten, als entstanden an demselben Orte durch das Ninneigen gewisser Teile von derselben Population zu diversen Stellen im «Naturhaushalte» — kämen wir bei näherer Betrachtung einer beliebigen anderer Vogelgruppe.

Nehmen wir die drei bekanntesten Vertreter unserer Spechte.

Ganz im Gegenteil zu den «Zigeunervögeln», wie die Kreuzschnäbel dank ihrem ausgesprochenen Nomadenwesen oft genannt werden, zeigen die Spechte, wie bekannt, den Typus eines Standvogels, was die Beurteilung der Lebensweise und der Nahrung sehr erleichtert.

Nun dürfte es nicht schwer fallen die drei bekanntes ten Spechtarten, resp. Gattungen, den Schwarzspecht (Dryocopus martius), Grünspecht (Picus viridis) und den grossen Buntspecht (Dryobates mayor) unter drei verschiedenen Waldungen zu verteilen. Wadei-Laub-und Vermischte Wälder. Auch mag das in den meisten Fällen zutreffen.

Betrachten wir jedoch die Sache näher, so erweist sich diese Ortsverteilung nur au sehr vereinfacht.

So bevorzugt der sonst für Nadelholz erpichte Schwarzspecht stellenweise gemischte Waldungen, ja, teilweise (im Gebiet von Gomel — laut Angaben von Prof. N. Gladkov — auch Eichenwälder. Desgleichen Eichen und Buchen in Südkaspien.

Der vorzugsweise Laubwälder bewohnende Grünspecht trotz der Vorliehe für dieselben ist stellenweise auch in Nadelwäldern anzutreffen, namentlich zwecks Absuchen von Ameisenhaufen, und der Grosse Buntspecht trotz der Neigung für gemischte Waldungen ist in Sibirien dermassen an das Nedelholz gebunden, dass man aus dem Rufe des Vogels gewohnt ist auf den Kiefernbestand zu schliessen.

Nun versuche man bei dies er Unbeständigkeit der Wahl des zu bewohnenden Waldgebietes die Entstehung dieser Spechte durch Bevorzugen bestimmter Waldungen zu erklären!

Sind es die heutigen Vertreter dreier verschiedenen Gattungen (Dryocopus, Dryobates, Picus) so unwählerisch in Ortschaft und Nahrung, so müssten ihre vermeintlichen Ahnen, als der gleichen Species zugehörig, noch weit grösser sein, was ihrer Divergenz doch offenbar widerspricht.

Und noch ein weiteres Beispiel sei hier angeführt, sofern es weniger banal, vielmehr auf eigener Beobachtung eines vielfach begabten jungen Zoologen ruht, des jetzt hervorragenden Professors an der Moskauer Universität, Dr. N.A. Formosov, der vor mehr denn 30 Jahren folgende Verteilung der Jagdgebiete für die Seeschwalben am nördlichen Gestade des Schwarzen Meeres festzustellen glaubte.

Sterna hirundo hirundo, Flusseeschwalbe, auf kurzgnsiger Küste. Nahrung: haupsächlich kleine Fische.
Sterna sadvicensis sandvicensis, Brandseeschwalbe. Hält sich näher zur See. Nahrung vor Allem: Fische.
Sterna albifrons albifrons. — Zwergseeschwalbe. Hält sich in der Nähe von Sandbänken. Nahrung: kleine Fische, weniger Insecten.
Gelochelidon nilotica nilotica, — Lachseesehwalbe. Bevorzugt sandige Küsten. Nahrung: hauptsächlich Insecten, Eidechsen.
Chlidonias nigra nigra. — Sumf-Seeschwalbe (schwarze). Meeres Küste. Nahrung: Kleine Fische, obwohl sonst Wasserinsecten.

Solche sind, die beobachtete Standorte der fünf Seeschwalben, wie sie an Ort und Stelle an der nördlichen Küste des Schwarzen Meers sich zeigten.

Wären die Beobachtungen gemacht vor etwa hundert Jahren zu Zeiten Darwins, wo sämmtliche Seeschwalben noch den gleichen Gattungsnamem «Sterna» führten, würden dieselben als eklatantes Beispiel einer Divergenz der Arten gelten, als Belege dessen, wie auf selbigem Gebiet, der erwähnten Neeresküste, die Vertreter nahverwandter Arten durch die Anpassung «an verschiedenartige Stellen im Naturhaushalte» sich umgebildet haben.

Nun liegt das Irrtümliche solcher Deutung auf der Hand, sofern eich obige Beobachtung auf einen winzigen Flecken des enormen Verbreitungsgebietes genannter Vögel sich bezicht, denn, — wie bekannt — sind diese Seeschwalben (namentlich S. nilotica und S. fluviatilis) nahezu Weltbürger und deren Aufenthaltsorte nur zum Teile entsprechend den am Schwarzen Meere sich erwiesenen.

Allein ganz abgesehen von der Schwierigkeit die Tatsachen der heutigen Systematik und namentlich Ökologie der Vogelwelt mit der Darwinschen Lehre von der Divergenz der Arten zu versönen, ist es vor Allem das Abstract-aprioristische genannter Lehre, welches deren Annahme eschwert, ja, offener gesagt, unmöglich macht.

Versuchen wir rein theoretisch diese Lehre von der Divergenz der Arten an der Hand eines fingierten Falles darzustellen, so z.B. zweier teilweise localisierter Standvögel, wie solche namentlich unter den Rauhfusshühnern zu verzeichnen ist.

Von den zwei Hauptarten des Auerhahns, bewohnt unser gemeiner Tetrao urogallus, sammt seiner, Unterarten, das waldige Europa, West-Sibirien und Ost- Sibirien bis an das Transbaikalien, wo es mit dem langschwänzigen, weissgefleckten und schwarzschnäblichen Tetrao parvirostis teilweise zusammentrifft.

Nun ist laut Aussage der Meisten Vorscher dieser Letztere mehr auf die Lerchenbäume angewiesen («deren Zweigspultzen ihm auch zur Nahrung dienen»Hartert), wogegen der dortige T. Urogallus wehr die Tannenwälder zu bewohnen scheint.

Somit hätten wir ein nicht zau oftes Vorkommnis, wo zwei verschiedene und scharf localisierte Arten zweier Standvögel auf gewissen Areal (Transbaikalien) gleichzeitig existieren und somit eine Gelegenheit uns bieten eine Divergenz beider Spocies uns vorzustellen.

Versuchen wir den Vorgang dieser Divergenz, aus dem gegenwärtigen Verhältnis in die Vorzeit uns versetzend, gegeenstänelien vorzustellen.

Zu einer näher nicht bekannten Zeit und innerhalb uns nicht bekannten Population des Auerwildes, unter uns näher nicht bekannten äusseren Verhältnissen, durch unbekannte Ursachen hervorgerufen, zeigten einzelne Vertreter dieses Auerwildes ein Bevorziehen der Lerchenbaumspitzen als Nahrung.

Diese Neuerung der Hahrung gab den boreffenden Individuen einen gewissen, näher nicht definierbaren Vorteil im «Kamf ums Dasein», unter Begleitung etlicher neuer Meckmale (schwarzer kleinerer Schnabel, langer Stoss und weisse Flecken), deren ursächliges Band mit Lärchennahrung allerdings nicht zu beweisen ist.

Durch stetiges Bevorziehen genannter Nahrung, Steigern der vorliebe zum Lärchenwalde kam es zur Merausbildung des schwarz — uud kieinschnäblichen, langschwänzigen und weissgefleckten Auerhahns, Tetrao parwirotstris, wogegemn die ursprüngliche Population nur insofern im «Kamfe fürs Dasein» sich erhielt, als es für Tannen-Bäume Vorliebe erwies, resp. beibehielt, was — aus uns unbekannten Gründen — zu dem weiss — grosschnäblichen, kurzschwänzigen und unbeflecktem T. Urogallus führte, resp. zum Erhalten dieser Merkmale verhalf.

So etwa wäre die vermeintliche «Divergenz» dieser zwei Vogelarten vorzustellen, wiederspräche dem nicht der fatale Umstand, dass der auf die Lärchenwälder (nur vermeintlich!) angewiesene Tetrao parvirostris stellenweise Kiefernwaldungen bevorzugt, also jene Bäume, jene Nahrungen, deren Vermeidung dieser Auerhahn — laut obiger Vermutung — seine Existenz verdankt.

Als Ausgangspunkt dieser Beweisführung wird ein ursprünglich einziges Wohngebiet und gleiche Lebensbedürfnisse der gemeinsamen Vorfahren unserer beiden Arten angenommem.

Auf selbigem Gebiet und gemischten Boden und Vegetationsverhältnissen (sowohl Tannen — als Lärchenwaldung) sollen einige Nachkommen mehr Neigung zu der ersten, anderzum zweiten zeigen, ungeachtet dessen, dass die beiden Baumarten beieinander wachsen und die beiden Auerhahnarten, so verschieden in der wahl der Nahrung, nebeneinander leben.

Des Weiteren wird angenommen, dass blos monophage Vögel (blos Kiefern-Nadeln, oder blos Lerchen-Baumspitzen ver zehrende) überlebten, dagegen solche Individuen, welche nach Art der Eltern beiderlei Nahrungsarten zu sich nahnen, unwiederleglich starben, obwohl die nächsten Ahnen gleich den heutigen beiden Arten stellenweise beiderlei Waldungen bewohnen und ihnen beiderlei Nahrung gut bekannt.

Stillschweigend wird ferner zugestanden, dass ein Differenzieren des Geschmacks ganz plötzlich und volkommen eintrat, da bei partieller Vorliebe zu dieser oder jener Nahrung, diese von der Nahrung der ursprünglichen Population nicht wesentlich verschieden wäre.

Das Gekünstelte all dieser Voraussetzungen tritt um so mehr zu Tage, wenn wir ferner gezwungen werden anzunehmen, dass die mit dem geweiligen Geschmack verschene Individuen sich auch entsprechend kreuzten, da ja wiedigenfalls bei freier Kreuzung von Vögeln Mit verschiedenen «Geschmack» wir einen Rückfall zu dem ursprünglichen Zustande und Verhalten hätten, welche laut obigem, im Kamfe und Dasein zu unterliegen hätten. Solch wären die Betrachtungen bei dem versuche das fingierte Bild der Divergenz von zweien Arten und auf gleichem Boden sich konkret und sachlich darzustellen, — eine Reihe unrealer, ja zum Teile ungeheurer Annahmen, und es uns nur zu bedauern, dass das wichtige Problem der Artentwicklung auf einem solch dürftiger und unsolider Grundlage beruhen durfte.

Die ganz offenbare Ungereimtheit all dieser Hypothesen bleibt zu Recht bestehen, wenn wir an Stelle der Nahrung ein uns unbekanntes Agens setzten, das die beiden Richtungen der Divergenz bedingte, sei es Auftreten und Summation von angeborenen Abänderungen in der Form und Farbe, oder Eigentümlichkeiten instinktiver, seelischer Natur.

Diese Bemerkung sei hier um so mehr betont, als die realen Ursachen der Divnrgenz der Arten ganz gewiss nicht in der Nahrunggen zu suchen sind, vielmehr in einer Reihe uns noch unbekannten Daten, welche die Herausbildung der Species bedingen.

Sind es doch neben den äusserlichen Kennzeichen, den mittelst Wort und Band leicht anzugebenden Merkmalen, noch Manches Andere, dem Worte und Masse Unzuuängliche.

Tatsächlich unterscheiden sich diverse Arten der erwähnten Kreuzschnäbel und Auerhähne nicht allein durch Form und Stärke ihrer Schnäbel oder Eigenheiten des Gefieders... Jede Species besitzt vor Allem seinen ihr nur zukommenden «Stil», des mittelst Zahl und Wort nicht ausdrükbare «Etwas», eine ihm nur zukommende eigenartige Vereinigung der Züge, Linien und Formen, welche nur das Kennerauge und der Stift blos eines Swainson oder eines Otto Kleinschmidt zu erfassen mag, ganz abgesehen von der Farbe oder Zeichnung des Gefieders.

Und wie das Personelle eines Nenschenantlitzes durch noch so minutiöses Abmessen des Schädelindexes, des Mundes und der Nase, durch genaueste Beschreibungen der Naar — und Augenfarbe sich nicht wiedergeben lässt, so dürfte auch die noch so feine Angabe der kleinsten Eigenheiten eines Vogels nicht im Stande sein das auszudrücken, was wir mit dem Worte «Habitus» begreifen.

Und gleich dem, wie bei der Ausbildung einer sich niemals wiederholenden Individualität die Rolle deb Milleus und seiner komplicierten, ja zuweilen unerforschbaren Factoren von entschei dener Bedeutung ist, so dürfte auch das Wesen einer neuen Art in deren Wechselwirkung mit aer äusseren Umgebung wurzeln.

Dieses wären unsere Bedenken in Bezug auf die durchaus aprioristisch — deduktiv erdachte Lehre Darwins von der Divergenz der Arten.

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Prof. Dr. Alexander Erich Kohts



[1] Nach E. Hartert: Athene noctua noctua, A.n. sarda, A.n. indigena, A.n. vidalii, A.n. claux, A.n. saharae, A.n. caucasica, A.n. bactriana, A.n. lilith, A.n. plumipes, A.n.